Na gut, die Erde ist ein bisschen Rund

skeptischer_arzt_01Nur weil sich mal ein selbsternannter Pseudoinvestigativjournalist (schweres Wort) gerne mal vor der Kamera sinnfrei einen lustigen Strauß von Drogen reinpfeift, wäre es doch sehr vermessen, bei RTL von Bildungsfernsehen zu sprechen. Und nein, auch das Dschungelcamp ist keine wissenschaftliche Sozialstudie.
Deshalb ist es RTL schon hoch anzurechnen, dass sie sich in ihrem Morgenmagazin “Guten Morgen Deutschland” fast schon differenziert mit dem Thema Dampfen auseinandergesetzt haben.
Fast vom Stuhl gefallen bin ich ja, als gleich zu Beginn sogar das DKFZ dafür als Referenz genannt wird, dass E-Zigaretten “gesünder” sind als Zigaretten.
Gut, in der Sendung wird zwar vom “Institut für deutsche Krebsforschung” geredet… also dann das IDKF… gibbet aber nicht, da wird schon das “Deutsche Krebsforschungszentrum” gemeint sein. Naja, geschenkt, wie schon erwähnt, sind wir ja hier nicht beim Bildungsfernsehen und ich bin nicht der Papst.
Auf jeden Fall wird das DKFZ in diesem Moment gebebt haben, man muss ja denken, es wäre ein Freund der E-Zigarette. Ein Lustiger Gedanke, ich höre schon wie Frau Dr. Pötschke-Langer vor Freude explodiert. Aber zurück zur Sendung, denn…

…dann kommt der Bericht. In diesem wird tatsächlich nicht nur nicht (wie sonst üblich) das DKFZ erwähnt, sondern auch noch stattdessen ein “internationales Forscherteam” (ich vermute, es handelt sich hierbei um das RCP in London) mit der Aussage zitiert, die E-Zigarette sei besser als ihr Ruf. Da wär’ mir doch fast das Liquid aus der Dampfe gesprungen.
Einziger “Schönheitsfleck” war der obligatorische, mahnende Arzt. In diesem Fall war es Dietmar Ederer-Merdian, seines Zeichens Facharzt für innere Medizin, der den Pflichtkonjunktiv bedienen durfte:

Die E-Zigaretten sind sicherlich etwas weniger schädlich als die normalen Zigaretten, allerdings werden trotzdem viele Inhaltsstoffe, die wir heute vermutlich noch gar nicht alle beziffern können, inhaliert“.

Abgesehen davon, dass mir schleierhaft ist, warum jeder dahergelaufene Feld-Wald-und-Wiesen-Arzt gleich den Status des E-Zigarettenfachmanns inne hat, ist diese Aussage ebenso falsch wie sinnfrei.
Wenn wir vom derzeitigen Stand der Wissenschaft ausgehen, ist die sog. E-Zigarette mindestens (!) 95% weniger schädlich als Zigaretten. “Etwas weniger” sieht anders aus,”etwas weniger” sind die paar Gramm, die man nach einer halben Stunde Wandern auf der Wage weniger hat, es ist der IQ-Verlust nach einer durchzechten Nacht. “Mindestens 95%” sind weit davon entfernt, das ist echt viel. 95% weniger ist bei einem Asteroiden der Unterschied zwischen “upps, weg sind die Dinosaurier” und “was ‘ne schöne Sternschnuppe”.

Dann wären da zudem die Inhaltsstoffe, die wir heute noch gar nicht beziffern könnten. Na, vielleicht entdecken wir in Zukunft sogar noch ein paar Elemente dazu, das “Gehirnium” wäre toll.
Was Herr Ederer-Merdian nicht beziffern kann, sind inklusive Nikotin 3 Grundstoffe, plus Nahrungsmittelaromen. Das heißt, der einzige einigermaßen unsichere Faktor wären die Aromen, die allerdings zum einen relativ gering dosiert in den Liquids vorkommen (meist um die 5% bis 10%), und zum anderen als zugelassene Lebensmittelzusatzstoffe doch recht gut bekannt sind. Warum die nun beim Inhalieren anders auf den Körper wirken sollen, als beim Essen oder Trinken, muss mir erst mal einer erklären.
Im Verdampfer findet schlussendlich auch kein alchemistisches Wunder statt und diese handvoll gut bekannter Stoffe verwandelt sich zu Unmengen von geheimnisvollen Elementen, die wir heute noch gar nicht kennen. Die Sachen werden warm gemacht und verdampft, das war’s. Aus dem, was im Liquid ist, besteht im Wesentlichen am Ende auch der Dampf… und das sind 3 Sachen und ein paar Aromen.

Ein Satz und so viel Blödsinn… aber Geschenkt, der Bericht kriegt ja anschließend noch mal die Kurve. Richtig lustig wird es nach dem Bericht. Da darf dann der Allgemeinmediziner Dr. Christoph Specht, zweimaliger Gewinner des Filmpreises der Bundesärztekammer (ja, so was gibt es), den Fachmann spielen. Auch er ist der Meinung, man könne nicht beantworten, was alles in den Liquids ist. Gemeint sind damit die Aromen, welche übrigens bei Liquids ebenso angegeben sein müssen, wie bei jedem Joghurt.
Dass Aromen, die nach Ananas, Zimt und Zitrone schmecken, nicht aus Plutonium, Arsen und Blei hergestellt werden, sondern (wer hätte es gedacht) in vielen Fällen eben aus Bestandteilen von Ananas, Zimt und Zitrone, kommt ihm nicht in den Sinn. Aber richtig gut wird es danach:

“Die Substanzen, die dort vernebelt werden, kommen zum Teil aus dubiosen Quellen.”

Ja, aus den gleichen “dubiosen Quellen”, aus denen auch Nestlé & Co ihre Aromen beziehen. Und mal ganz ehrlich, wer hat sich nicht schon mal nach dem Genuss eines Joghurts irgendwie komisch gefühlt?
Nochmal, hier geht es nicht um das Panschen von Crystal Meth in irgendwelchen dunklen Kellern. Deutsche Liquidproduzenten stellen ihre Liquids zumeist in Reinräumen her, in denen man Medikamente herstellen könnte. Außerdem ist Transparenz bei der Herkunft von Inhaltsstoffen oberstes Gebot seriöser Produzenten, da geht es um pharmazeutische Qualität.

Anschließend kommen noch ein paar Klassiker. Die berühmte Langzeitstudie, die es gar nicht geben kann, und die fehlenden Langzeiterfahrungen.
Zum einen gibt es die sog. E-Zigarette bereits seit über 10 Jahren und es ist noch keine ernsthafte Erkrankung bekannt geworden, die auf das Dampfen zurückzuführen ist, und zum anderen haben wir den “Feldversuch” des Theater- und Diskonebels, welche beide im Wesentlichen aus den gleichen Stoffen wie das Aerosol der E-Dampfe bestehen. Diskos und Theater werden landläufig nicht unbedingt als gesundheitlich bedenklich angesehen, wenn man von besoffenen Pöblern und verrückten Schauspielern absieht.

Widersinnig ist anschließend auch noch, dass Herr Dr. Specht tatsächlich eine Erfolgsquote der sog. E-Zigarette für die Rauchentwöhnung von 4-9% (woher auch immer diese meines Erachtens viel zu niedrigen Zahlen kommen) kleinredet. Alle anderen bekannten Methoden kommen in der Regel nicht über 2% hinaus.
Da darf dann natürlich auch nicht mehr der Knaller mit dem “Dual-Use” fehlen, bei dem sowohl geraucht, als auch gedampft wird.
Ich gebe ja zu, Zeit ist relativ… aber dass man durch das Dampfen auf einmal doppelt so viel Zeit zur Verfügung haben soll… ich weiß ja nicht. Ich hätte jetzt gedacht, dass jemand der raucht und dampft auch nur 24 Stunden am Tag Zeit hat. Würde dies nicht bedeuten, dass ein “Dualuser” immer noch gesünder lebt, als ein “Nurraucher”, da er etwa nur noch halb so viel raucht?! Aber was weiß ich schon von Zeit und Relativität…
Herr Dr. Specht ist auf jeden Fall der Meinung, dass ein “Dualuser” sich anschließend doppelt belastet… mir kommen da, wie erwähnt, Zweifel… hey, aber der Mann hat einen Doktortitel… und zwei Filmpreise.

Zum Schluss verwechselt der Herr Doktor dann noch Wasserpfeifen und E-Shisha, damit auch noch der, ebenso berühmte wie widerlegte, Gatewayeffekt erwähn werden kann… Gähn.

Aber ich möchte diesen medialen Schlenker in die Welt des Dampfens nicht schlecht reden, denn so einen Bericht hätte ich vor einem halben Jahr noch für unmöglich gehalten. Zwar fliegt auch RTL bei dem Thema E-Zigarette kurz vor der Ziellinie auf die Fresse, aber sie haben es wenigstens mal bis auf die Zielgerade geschafft. Dafür meine Anerkennung, das war mit Sicherheit so schwer, wie für die Kirche einstmals das Eingeständnis, dass die Erde ja evtl. doch etwas runder sein könnte, als man gemeinhin dachte.

Hier der Link zum Bericht auf RTL: http://rtlnext.rtl.de/cms/die-e-zigarette-boomt-in-deutschland-4009591.html
Hier der Link zum Bericht auf Archive.org: https://web.archive.org/web/20160919110740/http://rtlnext.rtl.de/cms/die-e-zigarette-boomt-in-deutschland-4009591.html