Neue Richtlinie zur Rauchentwöhnung – Eine Chance vertan

Die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) veröffentlichte kürzlich die aktualisierte S3-Leitlinie “Rauchen und Tabakabhängigkeit: Screening, Diagnostik und Behandlung”. In dieser Leitlinie, die für die nächsten fünf Jahre Gültigkeit hat, sind Empfehlungen zur Behandlung von Tabakabhängigkeit sowie zu Methoden der Schadensminimierung (Harm Reduction) festgelegt.
Sie ist rechtlich zwar nicht bindend, dient vielen Ärzten jedoch als Leitlinie und Orientierung.

In der Leitlinie wird von der Verwendung der E-Zigarette zum Mittel der Schadensminimierung ausdrücklich abgeraten:

“E-Zigaretten sollten zur Reduktion des Zigarettenkonsums nicht angeboten werden.”

Diese Empfehlung wird unter anderem damit begründet, dass sich bei gleichzeitiger Nutzung von Zigaretten und E-Zigaretten (der sog. Dualuse) die Schadstoffbelastung nicht so weit reduziert, wie bei einem kompletten Umstieg aufs Dampfen. Zudem wird auf Studien verwiesen, in denen vereinzelt höhere Belastungen durch bestimmte Schadstoffe beim Dualuse gefunden worden sein sollen. Alles in allem sei die Datenlage für eine Empfehlung der E-Zigarette zur Schadensreduzierung zu gering:

“Da die Studienlage keine belastbaren Hinweise auf eine Schadensminderung bei Dual Use gibt, sollte die E-Zigarette nicht zur Reduktion des Zigarettenkonsums angeboten werden.”

Für die Verwendung der E-Zigarette zum kompletten Rauchstopp wird in der Leitlinie keine Empfehlung abgegeben. Es heißt dazu:

“Da E-Zigaretten nicht risikofrei sind und gesundheitliche Auswirkungen einer Langzeitnutzung noch unzureichend erforscht sind, formuliert die Leitliniengruppe zum Einsatz von E-Zigaretten bei der Tabakentwöhnung keine Empfehlung.”

Empfohlen werden hingegen Nikotinpräparate wie Kaugummis, Pflaster und Sprays sowie Medikamente wie das Antidepressivum Bupropion oder der Rezeptorantagonist Vareniclin. Gerade von den in den Leitlinien erwähnten Medikamenten sind mitunter schwerwiegende Nebenwirkungen bekannt.

Dies ist auch ein Hauptkritikpunkt des Grazer Toxikologen Prof. Dr. Bernd Mayer. “Neben diversen psychotherapeutischen Verfahren werden mehr oder minder starke Empfehlungen für das gesamte Arsenal medikamentöser Therapien ausgesprochen. […] Als Pharmakologe kenne ich die erwünschten und unerwünschten Wirkungen der genannten Arzneistoffe sehr gut. Diese Pharmaka mögen als ultima ratio hilfreich sein, sind aber keinesfalls vergleichsweise harmlosen Nikotinprodukten wie E-Zigaretten, Tabakerhitzern, oder Snus vorzuziehen”, so Mayer.

Auch merkt er an, dass Minderjährigen und Schwangeren mit Einschränkungen Nikotinpräparate empfohlen würden. Von der Verwendung von E-Zigaretten jedoch abgeraten werde bzw. sie für Jugendliche sogar illegal seien. Die Leitlinie diene offensichtlich ausschließlich den Interessen der Pharmaindustrie, was sich schon daran zeige, dass beim Thema Nikotin mit zweierlei Maß gemessen würde: “Nikotin ist bekanntlich harmlos solange es nicht mittels E-Zigaretten sondern mit Produkten der Pharmaindustrie konsumiert wird.”

Scharfe Kritik an der Leitlinie kommt auch vom Suchtexperten Prof. Dr. Heino Stöver von der Frankfurt University of Applied Sciences. Er kritisiert unter anderem, dass von den Autoren der Leitlinie die jüngsten Erkenntnisse zur Schadensminimierung ignoriert worden seien. Zudem bedauert Stöver, dass die AWMF sich nicht dem Appell der Deutschen Gesellschaft für Suchtmedizin anschließen wollte. Diese hatte gefordert, die E-Zigarette bei der Rauchentwöhnung zu berücksichtigen. “Diese Empfehlung der DGS zu ignorieren, ist für mich einer der zentralen Schwachpunkte in der Leitlinie”, kritisiert der Suchtexperte.

Bei der Schadensminimierung gehe es nicht nur um die Reduzierung der Gesundheitsrisiken und Schäden, die durch das Rauchen verursacht werden. Vielmehr gehe es darum, die Ursachen zu verstehen und so stufenweise zu bekämpfen. “Leider hat das Gremium, das für die überarbeitete Leitlinie eingesetzt wurde, diesem Thema keine Aufmerksamkeit geschenkt und damit wichtige wissenschaftliche Arbeiten wie beispielsweise den kürzlich erschienenen Cochrane Review zur Rauchentwöhnung mit E-Zigaretten ignoriert.”

Da die neue Leitlinie für die nächsten fünf Jahre gilt, fordert Stöver, dass “wenn aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse nicht in die Leitlinien-Formulierung mit eingeflossen sind, dann müssen diese in den nächsten Jahren umso stärker in der Öffentlichkeit – parallel zu den Leitlinien – diskutiert werden.”


Leitlinie “Rauchen und Tabakabhängigkeit: Screening, Diagnostik und Behandlung” der AWMF

Stellungnahme von Prof. Dr. Heino Stöver

Viel Dampf und nur wenig Qualm

Frankfurter Rundschau / Panorama

Titel: “E-Zigarette: Gesünderer Qualm” (09.11.2016)

Bei der Überschrift könnt ich schon wieder meinen Beistelltisch zerkauen… das mit dem Qualmdampfdingens woll’n die echt nich’ lernen… aber Gemach, Gemach… wird besser.
Im Artikel geht’s um Suchtforscher, die die E-Fluppe entdeckt haben und deren Buch zum Thema. Also nich’ für sich entdeckt, nein, für den Kampf gegen’s Tabakmonster.

“Seit einigen Jahren steht die Debatte um die Alternative E-Zigarette im Mittelpunkt um die Frage, wie man die Zahl der Raucher in Zukunft weiter reduzieren kann. Befürworter des Alternativproduktes betonen die geringeren Gesundheitsrisiken, die E-Produkte im Vergleich zur herkömmlichen Tabakzigarette mit sich bringen.”

Is’ ja nich’ ganz falsch… mir is’ das Apotheker-A ‘n bissel zu groß… aber geschenkt. Vorweg, der Artikel is’ echt mal ganz lieb zum… öhm… Alternativprodukt. Die obligatorische “Mahnung” verkommt zu einer Randnote…

“Kritiker sprechen von „Chemikalien-Cocktails“ oder heben die Sorge hervor, die E-Zigarette könnte noch mehr Jugendliche zum Rauchen motivieren.”

…und wird im gleichen Atemzug bereits zerlegt:

“Letzteres lasse sich durch bisherige Studien allerdings nicht belegen – vieles spreche sogar dagegen, sagt die Expertin Anna Maria Dichtl vom Institut für Suchtforschung der Frankfurt University of Applied Science.”

Der Rest is’ auch ganz lieb, da kommen die Suchtforscher zu durchaus vernünftigen Schlussfolgerungen:

“Die E-Zigarette als Mittel der Rauchentwöhnung auszuschließen und bei gesetzlichen Regelungen (Werbung, Steuern) mit herkömmlichen Tabakzigaretten gleichzusetzen, ist der falsche Weg. Die gesundheitlichen Risiken von E-Zigaretten seien erwiesenermaßen weitaus geringer, als bei Tabakprodukten.”

Jupp, Stift her, Unterschreiben. Geht sogar noch weiter, wird noch direkter, bis zum kleinen Höhepunkt:

„Das Thema Tabak und Tabaktode wird uns noch eine ganze Weile erhalten bleiben“, sagt Jazbinsek. „Aus meiner Sicht ist die einzige Perspektive, die einen fundamentalen Kurswechsel einleiten könnte, eine Förderung der E-Zigarette durch den Gesetzgeber.“

Recht hat er… aber… Förderung… ich lach mich weg… Klar, keine Frage, wär’ super, is’ nur grad so, als würd’ man einem Taucher, der sich mühselig in sein ganzes Neoprengedöns gezwängt hat, sagen, dass er jetzt zum Fallschirmspringen geht. Irgendwie is’ “Fördern” nich’ so ganz, was die Berliner Spaßbande mit der E-Dampfe vor hat.

Zum Schluss kommen noch die Briten, die uns die 95% geschenkt haben… und die lässt man sogar einfach so stehen, kein BfR-Relativierer vom Dienst, keine WHO-Kollaborationseinheit für Widerspruch. Find’ ich toll. Nee, ehrlich… Ein vernünftiger, sachlicher und korrekter Beitrag. Wär’ vor’n paar Monaten so echt nich’ denkbar gewesen… Also mal ein Hütchen ab für die Frankfurter Rundschau.

Aber ich bin trotzdem ‘n bissl nörgelich… ich undankbares Dampferchen…
Mir geht schlicht die Grunddiskussion auf die Testikel. “Harm Reduction” find ich super, Rauchentwöhnung ist ‘ne tolle Sache… denk’ ich… Aber mal kapieren, wie hirnverbrannt es ist, ein absolut harmloses Genussmittel so wie atomwaffenfähiges Plutonium zu behandeln… nöpp, wohl einfach noch nich’ drin.

Artikel bei der Frankfurter Rundschau: http://www.fr-online.de/panorama/e-zigarette-gesuenderer-qualm,1472782,34924886.html
Artikel der FR bei Archive.org: https://web.archive.org/web/20161110183032/http://www.fr-online.de/panorama/e-zigarette-gesuenderer-qualm,1472782,34924886.html