Vom Missbrauch einer Seuche

Wir haben die Zeit der Pandemie, die Zeit “Corona”. Covid-19 geht um und alle sind verunsichert. Also auf Zombieapokalypse waren wir ja irgendwie vorbereitet. Durch “Binge-Watching” von “The Walking Dead” hatte ja schon fast jeder seinen Doktor in Zombilogie. Einfach Kopf wegballern, Problem gelöst.

Scheiße nur, dass das bei einem Virus nicht so einfach ist. Virus ist kompliziert. Erst recht, wenn das so ein mutiertes Erkältungsvirus ist. Da kippen die Leute eben nicht reihenweise um. Das ist nicht so wirklich Horror. Da fehlen die Leichen auf den Straßen… Okay, außer vielleicht in Italien. Da ist Hölle.
Trotzdem. Im Grunde sterben an dem kleinen gekrönten Erreger ja nur die Alten und Gebrechlichen. Oder? Nöpp, auch gesundes junges Gemüse kann vom Virus dahingerafft werden. Merken, das ist nachher noch wichtig.

Aber dennoch stimmt: Gerade die älteren Leutchen werden vom SARS-CoV-2 deutlich häufiger richtig heftig erwischt. Und die sterben eben auch häufiger. Und alle, die zu Risikogruppen gehören. Was genau jetzt Risikogruppe ist, kann man so hundertprozentig nicht sagen. Aber im Prinzip alle, die eh schon durch akute oder chronische Krankheiten geschwächt sind, Leute mit schwachem Immunsystem oder die an einer Autoimmunerkrankung leiden. Und Leute, die bereits Probleme mit der Lunge haben. Also auch Raucher. Oder?

Wenn Zufall zum Beweis wird

Also, ehm, jein. Mal rein von der Logik ist es natürlich nicht gerade förderlich, wenn man sich jeden Tag so um die zwanzig Kippen durch den Pneu zieht. Vor allem, wenn es um eine Lungenerkrankung geht. Aber kann man trotzdem so pauschal sagen, dass Raucher, die sich noch keine COPD oder irgendeinen Krebs angeraucht haben, häufiger und heftiger von Covid-19 niedergestreckt werden? Ohne Fakten nicht. Und da hüpft das Komma und tanzt der Pudel. Diese Fakten gibt es noch nicht.
Nur warum wird dann überall rausgehauen, dass Raucher viel schlimmer vom Virus erwischt werden als Nichtraucher, sogar 14 mal schlimmer? Weil’s grad super ins Konzept passt. Willst du Raucher bekehren, dann nutze die Angst. In diesem Fall die Angst vor dem Virus.

Allerdings sind diese “14 mal schlimmer” nicht einfach so aus der Luft gegrapscht. Da gibt es tatsächlich eine Studie zu… oder so was ähnliches. Genauer gesagt hat man sich 78 an Covid-19 erkrankte Leute rausgepickt und die dann genauer angeguckt. Von denen ging es den meisten schnell wieder besser. Bei den anderen verschlechterten sich die Symptome. Und jetzt hat man sich unter anderem angeguckt, wer dem Glimmstengel frönte und wer nicht. Daraus hat man dann berechnet, dass Raucher 14 mal häufiger einen schweren Covid-19-Verlauf haben als Nichtraucher. Problem ist jetzt nur, dass unter den 78 Leutchen gerade mal 5 Raucher waren. Von denen verlief bei dreien die Krankheit dramatischer. Da kann man also im Grunde nix seriöses draus schlussfolgern. Das sind schlicht zu wenige Leutchen gewesen. Hätte man die Erkrankten gefragt, wer mindestens einmal die Woche Fischsuppe isst, müsste die WHO jetzt vielleicht auch vor Fischsuppe warnen.

Raucher kriegen’s seltener

Aber es gibt ja auch noch die Behauptung, Raucher würden viel häufiger an Covid-19 erkranken. Auf die Idee ist man gekommen, weil in China viel mehr Männer Krank wurden als Frauen. Und im Reich der Mitte rauchen nun mal knapp mehr als die Hälfte der Männer aber noch nicht mal ganz drei Prozent der Frauen. Also muss es wohl am Rauchen liegen, dass der Virus mehr Männer erwischt hat. Eigentlich eine klare Soße, oder? Auch hier: Nein.
Denn in sechs Studien, die bisher ausgewertet wurden, waren durchschnittlich keine zehn Prozent der Patienten Raucher. Normalerweise hätte man aber wenigstens ungefähr 30% Freunde des glimmenden Stängels erwartet. So rein vom Anteil an der Bevölkerung. Das bedeutet, nach dem Ergebnis der Studien waren Raucher sogar eher weniger an Covid-19 erkrankt als Nichtraucher.
Auch hier wird also mit Zahlen jongliert, die nix aussagen und alles, was nicht ins Bild passt, wird unter den Teppich gekehrt. Ein Spiel, das Dampfer kennen.

Das “Katy-Perry-Risiko”

Und jetzt kommen wir auch endlich zu den Dampfern. Denn die werden aktuell einfach mit den Rauchern unter einen Hut gewuppt. Dabei gibt es von Dampfern, was Covid-19 angeht, noch nicht mal schlechte Daten. Da gibt’s keine. Nix, nullo, niente, nada. Es gibt ja noch nicht mal eine Idee, warum Dampfer anfälliger für das Virus aus dem Land der Mitte sein sollten. Also erfindet man irgendeinen Unsinn.
Der Bürgermeister von New York, Bill de Blasio, kramt in seinem Krieg gegen die leckere Wolke zum Beispiel einen Einzelfall raus. Da geht’s um einen jungen, fitten Menschen, bei dem Covid-19 richtig heftig zugeschlagen hat. Der war vorher gesund und gehörte zu keiner Risikogruppe. Allerdings hatte er gedampft. Für de Blasio eine klare Sache, die Dampfe war schuld.
Dieser eine Fall war für ihn dann auch Grund genug, Dampfer zu einer Risikogruppe zu erklären. Mettbällebad!
Vielleicht hat der junge Mann aber auch gerne Katy Perry gehört? Risikogruppe Perryfans?

Der Grund ist so simpel, wie einfach. Wie ich ja schon zu Beginn sagte: Auch junge, vollkommen gesunde Menschen können schwer an Covid-19 erkranken. Und sogar sterben. Nicht sehr häufig, aber das tun sie leider immer wieder. Übrigens ist es auch vollkommen normal, dass die meisten Erkrankten um die 50 sind. Und eben auch vor Zwanzigjährigen macht SARS-CoV-2 nicht halt. Mit und ohne E-Zigarette.

Super Gründe für den Umstieg

Rauchen ist ganz klar nicht unbedingt die beste Idee, wenn es um Lungenkrankheiten geht. Und es ist bestimmt nicht auszuschließen, dass das auch für Covid-19 gilt. Aber es weiß eben aktuell keiner. Kann sein, dass sich das bald ändert und natürlich ist Vorsicht die Mutter des Eierkartons. Trotzdem gilt aktuell: Es gibt (noch) keine Fakten, die Raucher per se zu einer Risikogruppe machen.

Von der Kippe auf die Dampfe zu wechseln ist immer eine gute Idee. Es hat keine nervigen Sachen wie Brandflecken, stinkende Klamotten oder vergilbte Wände. Es ist viel mehr jammi. Es ist in der Regel deutlich billiger als Rauchen. Und nebenbei bringt dich Dampfen nicht um.
Da braucht’s keine Seuche, die man für eine Antiwolkenagenda missbrauchen kann. Egal, wie gut der Zweck auch sein mag, er heiligt trotzdem nicht alle Mittel.

Wir brauchen Fakten, keine Ideologien, die sich ihre eigene Wahrheit stricken. In diesen Zeiten mehr denn je.


Konstantinos Farsalinos et al.: Smoking, vaping and hospitalization for COVID-19

Konstantinos Farsalinos: Smoking, vaping and the coronavirus (COVID-19) epidemic: rumors vs. evidence

Wei Liu et al.: Analysis of factors associated with disease outcomes in hospitalized patients with 2019 novel coronavirus disease


AKTUALISIERUNG: In der ersten Version des Artikels hatte ich Lady Gaga anstelle von Katy Perry erwähnt. Was ich nicht wusste: Lady Gaga leidet an der Krankheit Lupus (ja, das Ding von Doktor House).
Damit gehört sie tatsächlich zu einer Risikogruppe, wenn es um Covid19 geht. Mir ging es nur darum, deutlich zu machen, wie beliebig es ist, Dampfen für die Erkrankung des jungen Mannes verantwortlich zu machen. Dennoch fand ich die Überschrift “Das Lady-Gaga-Risiko” und ihre Erwähnung unter diesen Umständen unpassend. (29.03.2020)